Ein Gespräch Von Mann Zu Mann (German)


by Hans Jorgens

"Du, Papa?"

"Ja, mein Sohn?"

"Hast du mal'n paar Minuten Zeit?"

"Na klar."

"Stoere ich dich auch nicht?"

"Wie du siehst, lese ich gerade Zeitung. Aber du stoerst mich nicht. Was gibt es denn? Probleme bei den Hausaufgaben?"

"Nein, nein, alles schon fertig."

"Sehr gut. Also, was gibt's?"

"Ich wuerde dich gerne was fragen."

"Nur zu!"

"Hm. Also, ich werde doch in drei Wochen Dreizehn."

"Ist mir bekannt."

"Und letzten Sonntag, da ..."

"Da?"

"Letzten Sonntag, da hab' ich von dir ..."

"... drei Tage Fernsehverbot bekommen."

"Nein. Ja, das auch. Ich meine, da habe ich von dir ..."

"Da hast du von mir den Hintern voll gekriegt."

"Ja."

"Und den hattest du dir auch verdient. In letzter Zeit hast du geradezu darum gebettelt, oder?"

"Hm."

"Nein?"

"Na ja, irgendwie schon, aber ..."

"Aber du findest, dass Haue nicht mehr die richtige Strafe fuer einen fast erwachsenen Kerl wie dich sind. Richtig geraten?"

"Ja, genau!"

"Also, Philip, tut mir leid, aber das sehe ich ein bisschen anders als du. In meinen Augen bist du noch ein Kind. Ein intelligentes Kind zwar, aber doch noch ein Kind. Du kommst gerade erst in die Pubertaet, und selbst, wenn du die in ein paar Jahren hinter dir hast, bist du immer noch kein richtiger Erwachsener, sondern ein Jugendlicher. Deine Mutter und ich sind dafuer da, dich zu so erziehen, dass aus dem Kind und dem Jugendlichen Philip Seidel irgendwann ein toller, verantwortungsbewusster Erwachsener wird. Und dazu gehoert nach unserer Meinung auch mal eine Abreibung. So selten wie moeglich, aber so haeufig wie noetig. Und Sonntag war sie nach langer Zeit wirklich mal noetig. So sehe ich das, mein Sohn."

"Aber es gibt doch auch andere Strafen!"

"Das stimmt. Die haben wir ja auch schon fast alle durch, oder?"

"Hm. Es ist nur so: keiner in meiner Klasse und keiner von meinen Freunden kriegt zuhause den Arsch voll. Die sagen alle, dass das eine Strafe aus dem Mittelalter ist."

"Das ist nicht nur eine Strafe aus dem Mittelalter, sondern die ist sogar noch viel aelter. So alt wie die Menschheit. Und es gibt sie auch heute noch fast ueberall auf der Welt. Was schliessen wir daraus?"

"Weiss ich nicht."

"Also, ich schliesse daraus zweierlei: erstens, dass diese Strafe offenbar einem Grundbeduerfnis des Menschen entspringt, da sie ueberall auf unserem Planeten bekannt ist. Und zweitens, dass sie sich ueber Jahrtausende bewaehrt haben muss, denn sonst waere sie heute nicht mehr so verbreitet."

"Aber Schlaege tun verdammt weh. Warum tun Eltern ihren Kindern weh?"

"Weil es eine Strafe ist. Und eine Strafe muss weh tun, denn sonst waere es keine. Sie soll einen Zweck erfuellen, und der Zweck wird offensichtlich durch diese Form der Strafe besonders gut erfuellt."

"Findest du?"

"O ja, das finde ich. Denn eine solche Bestrafung vergisst man nicht so schnell und will sie moeglichst in der Zukunft vermeiden. Also erfuellt sie ihren Zweck meistens ganz hervorragend."

"Hm."

"Erinnerst du dich an den Tag, als ich deinen Bruder beim Rauchen erwischt habe?"

"Na klar, du hast ihm gehoerig den Marsch geblasen!"

"Genau. Ich habe ihm kraeftig den Hintern versohlt und ihm gesagt, dass er sich bis mindestens Sechzehn nicht wieder mit einer Zigarette erwischen lassen sollte. Das hat er sich so gut gemerkt, dass er meines Wissens bis heute nicht wieder geraucht hat."

"Ich glaube, das stimmt."

"Und bei dir war es so, dass du zum Beispiel deiner Mutter gegenueber in den letzten Monaten ziemlich oft frech warst. Ich habe dich mindestens drei Mal gewarnt, bevor mir Sonntag nach diesem boesen Wort von dir der Kragen geplatzt ist. Ich hab' dir was hinten drauf gegeben und mit dir darueber gesprochen, dass du Mama mit deinem Verhalten weh tust. Ich bin mir ziemlich sicher, dass du dich ihr gegenueber in Zukunft anders benehmen wirst."

"Ganz bestimmt. Aber dafuer waere die Haue gar nicht noetig gewesen. Das haettest du auch nur mit unserem Gespraech erreicht."

"Lieber Philip, gesprochen haben wir vorher schon ein paar Mal darueber, aber es hat leider nicht all zu viel genuetzt. Stimmt's oder habe ich Recht?"

"Hm, das stimmt wohl. Aber trotzdem: die Pruegelstrafe ist jetzt in Deutschland per Gesetz verboten worden."

"Das stimmt leider auch, aber erstens ist das Gesetz noch nicht in Kraft getreten, und zweitens hoffe ich, dass sich die Eltern durch so einen Bloedsinn nicht von ihren bewaehrten Erziehungsmethoden abbringen lassen."

"Wieso Bloedsinn? Ich finde das gut."

"Das glaube ich dir, mein Sohn. Aber ich schlage vor, dass wir uns noch einmal ueber das Thema unterhalten, wenn du selber Kinder hast. Ich wuerde darauf wetten, dass du dann etwas anders darueber denken wirst."

"Niemals! Wollen wir um ein Essen bei McDonalds wetten?"

"McDonalds? Darf ich den Italiener um die Ecke vorschlagen?"

"Okay, abgemacht."

"Abgemacht."

"Du, Papa? Wirst du mich auch noch hauen, wenn das Gesetz in Kraft getreten ist?"

"Wenn's notwendig ist, ja. Deine Mutter und ich werden uns durch dieses Gesetz nicht beinflussen lassen. Das wurde, wie so vieles, von Politikern gemacht, denen die Meinung der grossen Mehrheit der Bevoelkerung voellig wurscht ist."

"Aber du sagst doch immer, dass Gesetze dazu da sind, dass man sie einhaelt!"

"Ich spreche meistens von Regeln, und zwar von Regeln, die in unserer Familie und in der Gesellschaft gelten sollten. Natuerlich bin ich auch dafuer, dass Gesetze eingehalten werden. Aber wie bei Regeln kann man auch bei Gesetzen manchmal anderer Meinung sein."

"Aber ich bin dann wahrscheinlich der einzige, der zuhause noch den Hintern voll kriegt, und alle anderen lachen sich ueber mich kaputt."

"Lieber Philip, ich glaube, dass viele Eltern dieses Gesetz nicht beachten werden, weil sie sich nicht bevormunden lassen wollen und weil sie fest daran glauben, dass ihr bewaehrter Erziehungsstil nicht von einem Tag auf den anderen ploetzlich illegal sein kann. Und noch etwas: gerade vor ein paar Tagen habe ich zufaellig mit dem Vater deines zweitbesten Freundes gesprochen."

"Mit Tobias' Vater?"

"Genau. Und nun rate mal, was er mir dabei erzaehlt hat."

"Keine Ahnung."

"Also, er hat mir erzaehlt, dass er seinem Herrn Sohn erst letzten Monat kraeftig das Hinterteil versohlen musste."

"Aber Tobias kriegt zuhause nie Schlaege!"

"Sagt Tobias."

"Ja."

"Na, dann hat er dir ganz offensichtlich was vorgeflunkert. Sein Vater sagte mir naemlich, dass Tobias und Lars durchaus oefter mal welche mit dem Kochloeffel kriegen."

"Mit dem Kochloeffel?"

"Ja, genau wie du am Sonntag."

"Also, so was!!"

"Und er hat mir auch gesagt, dass er sich von diesem neuen Gesetz nicht davon abhalten lassen wird, seinen Soehnen dann und wann den Hintern voll zu hauen. Du siehst also, du wirst nicht allein sein auf der boesen Welt."

"Tobias Schulz, du alter Luegner!"

"Behalte dein Wissen aber bitte fuer dich. Und wenn er dir und euren Kumpels das naechste Mal wieder etwas vorflunkert, dann weisst du, was du davon zu halten hast."

"Okay. Du, Papa?"

"Na?"

"Wie lange wirst du mich noch hauen?"

"Keine Ahnung. Aber noch bist du nicht zu alt dafuer. Ich war Siebzehn, als mich mein Vater zum letzten Mal verdroschen hat. Damals fand ich das unmoeglich. Aber inzwischen glaube ich manchmal, dass es in Ordnung war."

"Mit Siebzehn? O Mann!! Ich glaub's ja nicht!!"

"Tja, mein Sohn, das waren andere Zeiten damals."

"Also krieg' ich mit Siebzehn keine Haue mehr?"

"Ganz bestimmt nicht. Aber mit Fuenfzehn solltest du dir deiner Sache noch nicht all zu sicher sein."

"Oh, oh!"

"Ja, ja!"

"Du, Papa? Das war ein gutes Gespraech. Wie unter Maennern."

"Wie unter Maennern; einem grossen und einem kleinen."

"Du, Papa? Magst du mich eigentlich nicht mehr, wenn du mich verhauen musst?"

"Ich verhaue dich, weil ich dich so lieb habe, Philip. Weil ich moechte, dass du etwas daraus lernst."

"Papa?"

"Ja?"

"Ich hab' dich auch lieb. Im Moment jedenfalls."

"Danke, mein Grosser."

"Bitte, mein Kleiner!"

"Philip, hol' mal bitte den Kochloeffel."

"Was??"

"Das war ein Scherz, mein Sohn."

"Hahaha!"

"Hohoho! Frag' mal deinen Bruder, ob er mit 'raus kommen will, ich spendiere heute ein grosses Eis mit Sahne."

"O, super! Wofuer?"

"Dafuer, dass ich zwei so wunderbare, gut erzogene Soehne habe."


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